Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Österreich
Satirereligionen: Diskordianismus und J. R. “Bob” Dobbs
In unserer Serie Satirereligionen: Ein Blick über den Tellerrand betrachten wir heute: Der Diskordianismus und die Kirche des SubGenius.
Die nächste neue Religion, die wir betrachten werden müssen, ist der Diskordianismus (lat. discordia ‚Zwietracht‘). Eris ist die klassische griechische Göttin der Zwietracht und des Streites, welche als Discordia in die römische Mythologie übernommen wurde. Der US-amerikanische Autor Kerry W. Thornley (1938 – 1998), der als Mormone erzogen wurde, änderte als Erwachsener öfters seine Weltanschauung. Er wurde Atheist, dann Anarchist, dann Objektivist und schloss sich auch dem Neuheidentum und dem Buddhismus an. Er glaubte, dass er in das Project MKUltra der US-Regierung involviert war und somit unter Einfluss von LSD gesetzt wurde. Des Weiteren glaubte er, dass er das Ergebnis einer Vril-Zuchtinitiative der Nazis war. Schließlich schrieb er unter dem Namen Lord Omar Khayyam Ravenhurst mit seinem Jugendfreund Gregory Hill (1941 – 2000) genannt Malaclypse the Younger das Buch Principia Discordia, in welchem die neue Religion, die für Scherz und Falschinformationen steht, dargelegt wurde. In den frühen Jahren gab es Gerüchte, dass der Autor des Buches Richard Nixon, Timothy Leary oder Robert A. Wilson (1932 – 2007) war, oder dass das Buch und Malaclypse der Jüngere erfundene Erfindungen von Robert Anton Wilson seien. Wilson war Leser*innenbriefredakteur beim Playboy und verfasste einige gefakete Leser*innenbriefe über Verschwörungstheorien. Auch munkelte man, dass die neue Religion des Diskordianismus bereits 1957 erfunden wurde, aber erst im Jahre 1979 durch die Principia Discordia öffentlich bekannt wurde.
Die Glaubensinhalte des modernen Diskordianismus sind nicht besonders genau genormt. Im Zentrum dieser Glaubenswelt stehen die Widersprüche. Um damit umgehen zu können, müsse man das übliche logische Denken überwinden und dem Geist neue Freiheiten geben. Gläubige Diskordianer bestreiten objektive Wahrheiten und lieben die Widersprüche, denn Widersprüche zeigen die Grenzen der Logik auf. Die Unordnung und das Chaos fördern die Kreativität, so das Credo dieser Kirche. Diskordianer missachten alle Autoritäten und Zwänge, weshalb jeder Gläubige zu einem diskordianischen Papst ernannt werden kann. Ein jeder diskordianische Papst kann für sich jederzeit Unfehlbarkeit beanspruchen, auch im Nachhinein oder nebenbei. Er kann auch die Erisianische Kirche umfassend reformieren, auflösen oder neugründen, sowie andere Päpste exkommunizieren, de-exkommunizieren und re-exkommunizieren. Eris kann alle deine Probleme lösen, wenn du im Gegenzug dazu bereit bist, all ihre Probleme zu lösen.
Das Symbol der Diskordianer ist das „heilige Chao“ (‚Sacred Chao‘), welches das Yin-Yang Zeichen und das Pentagon und den Zankapfel zusammenfasst. Es steht für Kreativität, Chaos und Zwietracht. Das heilige Chao meint den Singular von Chaos, aber es hört sich an wie „heilige Kuh“ (‚Sacred Cow‘). Das Pentagon repräsentiert das Gesetz der Fünf und steht für Autorität und Ordnung. Der golde Zankapfel ist jener der Eris, mit dem sie den Trojanischen Krieg auslöste.
Das diskordianische Gesetz der Fünf besagt, dass alles, was im Universum geschieht, irgendwie mit der Zahl Fünf oder einem Vielfachen von Fünf zusammenhängt. So ist auch die Illuminatenzahl 23 mit der Fünf verbunden: 2+3 = 5 und 23 = 2^2 × (2 + 3) + 3. Auch die Zahl 42 = 2 × (3 + 2 × 3^2) gehorcht diesem Gesetz! 23 ist überall! Die diskordianischen fünf Gebote, genannt Pentabarf (griech. penta ‚fünf‘; engl. barf ‚kotzen‘) wurde laut der Principia Discordia vom Apostel Zarathud aufgefunden, der sie in einem goldenen Stein gemeißelt erblickte. Sie sagen aus, dass es keine Göttin außer der Göttin gibt, dass es keine Erisische Bewegung außer der Erisischen Bewegung gibt und dass jeder goldene Apfel das geliebte Heim eines Goldenen Wurmes ist. Ferner wird gesagt, dass ein Diskordier immer das offizielle diskordische Dokumentennummerierungssystem benutzen soll. Außerdem ist ein Diskordier zu Beginn seiner Illumination dazu verpflichtet, an einem Freitag allein nach draußen zu gehen, um fröhlich einen Hot Dog zu genießen. So soll die gegen die Heid*innentümer der heutigen Zeit demonstriert werden: Gegen die katholische Christenheit (freitags kein Fleisch), gegen das Judentum und den Islam (kein Fleisch vom Schwein), gegen den Hinduismus (kein Fleisch von der Kuh), gegen den Buddhismus (kein Fleisch von Tieren) und gegen den Diskordianismus (keine Hot-Dogs). Eine weitere Regel des Pentabarfs ist: Ein Diskordier soll keine Hot-Dog-Brötchen essen, denn diese waren der Trost der Göttin, als sie mit der ursprünglichen Zurückweisung konfrontiert war. Und einem Diskordier ist es verboten, zu glauben, was er liest.
Es ist auch ein diskordianischer Kalender überliefert. Das diskordianische Jahr besteht aus den fünf Jahreszeiten Chaos, Zwietracht, Verwirrung, Bürokratie und die Nachwirkung (engl. Chaos, Discord, Confusion, Bureaucracy, Aftermath). Die diskordianische Woche hat fünf Wochentage namens Sweetmorn, Boomtime, Pungenday, Prickle-Prickle und Setting Orange. Und es gibt 2 × 5 Feiertage, die Holydays. Das Jahr wird also in fünf Jahreszeiten zu je 73 Tagen bzw. in 73 Wochen zu je fünf Tagen, plus einen üblichen Schalttag, aufgeteilt.
Für Diskordianer ist ein „Heiliger zweiter Klasse“ der höchste spirituelle Rang, den ein echter, nicht-fiktionaler Mensch erreichen kann. Zum Beispiel wird Kaiser Norton I., Kaiser der Vereinigten Staaten und Schutzherr von Mexiko als ein Heiliger zweiter Klasse verehrt. Jeder versteht Mickey Mouse, wenige verstanden Hermann Hesse, nur eine Handvoll verstanden Albert Einstein, aber niemand verstand Kaiser Norton.
Auch bei den neuen alternativen satirischen Religionen gibt es manchmal Sektierereien. In den 1970ern spaltete sich unter dem amerikanischen Schriftsteller und Filmemacher Ivan Stang (geb. 1953), bürgerlich Douglas Smith, und seinem Freund Philo Drummond, bürgerlich Steve Wilcox, die Church of the SubGenius vom Diskordianismus ab. Angeblich wollten die beiden Texaner nur einen absurden Scherz machen, aber der Unsinn verselbständigte sich, bis er zu einer ausgewachsenen Religion wurde.
Es begann mit einem Pamphlet, das die beiden 1979 in Dallas verteilten. Es sagte in Riesenlettern:
„Morgen endet die Welt – und du könntest dabei sterben!“
Darunter stand in sehr kleinen Buchstaben:
„Naja, vermutlich nicht … aber egal, lies weiter!“
Das Pamphlet beinhaltet eine wirre Collage aus Fotos von UFOs, Cowboys, einem pfeiferauchenden Mann und Slogans wie „Wenn du nach einer vollkommen unechten Religion suchst, die äußerste Degeneration verzeiht und dir sagt, dass du ‚über‘ jedem anderen stehst – dann könnte die Church of the SubGenius dich retten!“ Der Obergott dieser Kirche sei ein „unsichtbares Weltraummonster“ namens „Jehovah 1“ bzw. „JHVH-1“, der sich gegenüber uns Menschen als ein Gott ausgibt. Er entstamme einer zornigen Alienrasse aus der korporativen Sündengalaxie und habe sich schon früher anderen Menschenstämmen gegenüber als Gott, z.B. als Re, Zeus oder Wotan, ausgegeben. Jehovah 1 sei übrigens mit Eris, der Göttin der alten Griech*innen, der Römer*innen und des Diskordianismus, verheiratet. Der Gegenspieler unseres Aliens ist der satanähnliche Gott NHGH. Stang und Drummond behaupteten auch, dass ein gewisser J. R. “Bob” Dobbs der Begründer der Bewegung sei. Jener J. R. “Bob” Dobbs sei im Übrigen der pfeiferauchende Mann auf den Fotos im Pamphlet. Die Anführungszeichen um “Bob” werden immer mitgeschrieben, um seinen Heiligenschein zu verdeutlichen! Im Jahre 1953 sei “Bob” mit einem selbstgebauten Fernseher mit JHVH-1 in Kontakt getreten. „Bob“ wurde offenbart, dass er den Menschen helfen müsse, sich ihres „Slacks“ bewusst zu werden. Die Bedeutung von „Slack“ (stets groß geschrieben), also es langsam angehen zu lassen bzw. sich locker zu machen, sei aber für jeden Menschen anders. Anhänger*innen dieser Kirche beschäftigen sich auch mit „culture jamming“ und mit dem Unterminieren anderer Glaubensrichtungen. Ihre spirituellen Führer*innen leiten ihre Jünger*innen an, sich nicht dem Mainstreamkommerz der Normalos und dem Glauben an absolute Wahrheiten hinzugeben. Aber nicht nur darum hat diese Kirche so viele Anhänger*innen, besonders unter Studenten. Das Slacken ist auch der Grund, warum es gegen die Kirche des SubGenius eine weltweite Verschwörung gibt. Dunkle Mächte wollen uns vom Slacken abhalten! 1983 veröffentlichte die Kirche ihr erstes heiliges Buch, das Book of the SubGenius, weitere Bücher, ein Film und eine Radiosendung folgten. So wurde dieser Glaube in Künstlerkreisen bekannt. Die Musiker der Band Devo, Frank Zappa (1940 – 1993) und David Byrne (geb. 1952), Sänger der Talking Heads, bekannten sich zu „Bob“. Byrne ließ sich für seinen Episodenfilm True Stories von den Schriften dieser Glaubensgemeinschaft inspirieren. Der einstmals gute Musiksender MTV schaltete einige bizarre Nonsens-Werbeclips, in denen Reverend Ivan Stang für seine Religion warb. Auch der Comiczeichner Robert Crumb (geb. 1943) begann in seiner Comic-Serie Weirdo für die Kirche des SubGenius zu werben.
Wie auch in althergebrachten Religionen üblich, haben die SubGenii einen waschechten Weltuntergang vorausgesagt. Schon der Kirchengründer „Bob“ habe 1953 vorhergesagt, dass Anfang Juli eine Flotte von fliegenden Untertassen kommen werde. Am 5. Juli 1998 hätten, so Douglas Smith, Außerirdische vom Planeten X erscheinen sollen, um die Welt zu vernichten. Die Mitglieder der Church of the SubGenius haben jedoch nichts zu befürchten gehabt, denn Sexgöttinnen vom Planeten X hätten sie nach Vorzeigen ihrer Mitgliedskarte in ihre Fluchtkapseln hineinlassen sollen und sie so vor der Zerstörung der Erde gerettet. Der Rest der Bevölkerung hätte anschließend sehr langsam vernichtet werden sollen.
Meinen Erfahrungen nach ist die Welt an jenem Tag aber nicht untergegangen. Die SubGenii können das aber leicht wegdiskutieren: Gerüchten zufolge sei der Kalender eben falsch und das Jahr 1998 sei noch gar nicht eingetreten, oder aber man habe die Jahreszahl seitenverkehrt gelesen und das Ende der Welt komme erst 8661. Douglas Smith ließ sich von seinen Glaubensbrüdern auf einem Campingplatz in New York für seinen Irrtum symbolisch teeren und federn und sich in einen Teich werfen. Anschließend gingen die SubGenii wieder heim und die Kirche erklärte fortan den 5. Juli zum Feiertag namens „X-Day“, der mit ausschweifenden Feiern begangen wird. Es kann ja sein, dass dies alles der größte Witz ist, der je erzählt wurde und man sieht sich auch gerne als eine Spaßreligion, aber man beteuert immer wieder, dass das alles durchaus ernst gemeint sei. Warum nicht beides? Wenn man sich Religionen und Witze genau ansehe, seien beide eigentlich gar nicht so verschieden, meinen sie. Und wenn man beides kombiniert, erhält man die perfekte Religion und den perfekten Witz.